Juuten Tach.

Herzlich willkommen bei "Unfassbar. Lustig!"

 

Oft wundere ich mich, was diese wirklich "kranke" Welt für mich mal wieder bereithält, obwohl ich gar nichts davon bestellt habe.

 

Und das schreibe ich dann hier auf. Was Euch dabei erwartet? Euch erwartet ein etwas anderer Blick auf die merkwürdigsten Augenblicke meines Alltags. Denn vieles was passiert, ist wirklich unfassbar. Und auf den ersten Blick auch gar nicht so lustig. Sondern eher ärgerlich. Aber jede Situation hat noch einen zweiten Blick verdient. Und dann wird’s auch wieder lustig. Also, ich biete Euch hier ab und zu ne kurze Story. Mal mit feinem Spott und bissiger Ironie. Mal aus der Sicht der puren Verzweiflung. Ganz oft aber einfallsreich lustig oder einfach nur komisch. Und Ihr?! Müsst einfach nur lesen und lachen. Gemeinsam sind wir lustig. Ach ja - und die "älteren" Storys findet Ihr dann in der Rubrik "Was bisher geschah". Schaut mal ganz nach oben.

 

Euer Olli Dahlke - Botschafter des Humors.

 

Tutti-Frutti - Schnelle Entscheidungen im Großkonzern.

 

Was für ein Tag in Monaco. Ich komme gerade im Outfit eines orientalischen Obsthändlers aus dem erweiterten Europe-Decision-Board und darf die getroffenen Entscheidungen nun ins weltweite Partner-Council International weitertragen. Aber Moment. Um was geht es hier eigentlich? Meine Kollegin hatte im Team-Meeting die Frage gestellt, ob wir über die Firma jede Woche eventuell eine Kiste frisches Obst bestellen sollten. Ok. Soweit so gut. Der Case ist clear and manageable. Und Vitamine sind sowieso immer gut. Wir bringen die Idee in eine kurze Powerpoint-Präsentation und auf fünf shorty Charts werden verschiedene Obst-Sorten, mögliche Lieferanten und Anliefer-Timings dargestellt. Die konkrete Obst-Auswahl wollen wir dabei weder dem Zufall noch unserem orientalischen Obstlieferanten des Vertrauens „Djamal Malooff Salah“ überlassen. Unser hoffnungsvoller Shootingstar-Praktikant baut fix eine anonyme Mentimeter-Abfrage und die Idee geht steil in der Hierarchie nach oben.

 

Ziemlich schnell wird uns deutlich gemacht, dass wir in unserer Company so spontan und stand-alone nicht befugt sind, eine Kiste Obst zu bestellen. Banane, Apfel und Drachenfrucht überschreiten unseren Budget- und Verantwortungsbereich. Außerdem muss das noch mit dem Vitaminhaushalt der gesamten Abteilung gematcht werden. Unsere einfache Obstkiste wird also vom Team- zum Junior-Department-Thema befördert. Und das dauert. Eine weitere Woche ohne Obst – aber die Aussicht auf Erfolg bleibt. Der Management-Assistent des Junior-Departments bestätigt uns per Mail, dass unsere Obstkiste auf der Agenda der nächsten Department-Session ist. Agenda-Punkt 7 – „Vitamine auf Kostenstelle“. Und tatsächlich wird aktiv und leidenschaftlich über unsere Obstkiste diskutiert. Im Weekly-Protokoll lese ich 28 Statements inclusive klarer Zuordnung der need for actions, clarifications, decisions and responsibility of Obstkiste. Im Obstkern sind sich die Manager/innen des Departments einig: Vitamine sind super, aber teuer. Unsere Obstkiste wird mit dem Log-Extract an den Controlling-Master in der Finance-Unit weitergeleitet. Die Zahlenfüchse aus dem Controlling brauchen zur finalen Budgetfreigabe weiteren Input und inviten zu einem Short-Call nächste Woche Dienstag mit dem Senior-Department of Business-Solutions. Diese wiederum fragen, ob der Gesundheitsausschuss des Betriebsrates bereits eingeweiht wurde? Mensch Leute, es geht hier doch nur um eine Obstkiste.

 

Inzwischen kümmert sich einer der Senior-Department-Manager um unsere Obst-Kiste und stellt für alle Stakeholder einen Video-Call ein. 18 Teilnehmer. Aus jedem Team ein Stellvertreter, die Assistenzen aller anderen Departments, der Betriebsrat mit dem Gesundheits- und dem Sicherheits-Ausschuss, Graf Zahl aus dem Controlling, die Einkäuferin aus dem Headquarter sowie vier Praktikanten und Werkstudentinnen, für die es ein schöner education-case ist. Es hagelt Teilnahme-Absagen wegen Urlaub, Weiterbildungsabwesenheiten, Krankheit, Termin-Konflikten, etc. Es dauert ganze 4 Wochen bis wirklich alle Interessengruppen einen gemeinsamen Termin finden. Zwei Praktikantinnen schreiben sehr fleissig  in One-Note Protokoll. Unsere Junior-Department-Leaderin (meanwhile zur CEO – Chief Executive Obstkiste ernannt worden) präsentiert auf elf pdf-Charts die Anforderungen an eine wöchentliche Obst-Kiste. Die Einkäuferin merkt sofort an, ob es nicht auch eine Obst-Tüte anstelle einer Kiste sein könnte. Der Controlling-Chief klatscht Beifall und nuschelt etwas von Budget-Re-Adressierungen, Einsparungspotenzialen und generell budgetär schwierigen Zeiten. Der Betriebsrat bringt die Unternehmenskantine ins Spiel und befürchtet Kannibalisierungseffekte und Auslastungsrisiken für die Kantinen-Caterer, mit denen man doch erst letztes Jahr langfristige Partnerschaften abgeschlossen hat. Zwei Assistentinnen haben von Anfang an Einwahlprobleme in den Video-Call und ein Senior-Manager spricht seit 10 Minuten, obwohl sein Mikro auf „mute“ steht. Aber eines wird hier allen schnell klar. Dieser Case ist noch nicht reif für eine final Decision und muss auf höherer Ebene geklärt werden. Die Partner-Ebene der Company schiebt unsere Obstkiste zur Stabsstelle Public Relations, da meanwhile die lokale Presse über unsere Obstkiste berichtet. Wollen wir extern wirklich als „grünes“ Unternehmen wahrgenommen werden? Es wird ein weiterer Obst-Kisten-Ausschuss mit vier PR-ausgebildeten Spokesmen mit Company-Speaker-Rights gegründet, die die nationale Unternehmensleitung und die Stabsstelle der Öffentlichkeitsarbeit repräsentieren. Auch der Termin steht sofort: in 6 Wochen. Mensch Leute, es geht hier doch nur um eine Obst-Kiste.

 

Unser Junior-Department-Lead bittet um zeitgleiche Ausarbeitung und Erfahrungs-Sammlung zum Thema Obstverhalten in unserer Abteilung. Als Pre-Projekt-Pilot soll jede Woche ein frischer Apfel und fünf Erdbeeren im Gemeinschaftsraum installiert werden. Der Auszubildende darf möglichst unauffällig die Verhaltensweisen der Belegschaft rund um Apfel und Erdbeeren dokumentieren. Quasi ein Mix aus „Tier-Dokumentation“ und „Willi will´s wissen“. In einem geheimen Evaluation-Meeting werden die Erkenntnisse dann im kleinen Kreis besprochen und in einem passwortgeschützen Online-Tool gesaved.

 

Nach sechs Wochen findet endlich das Decision-Meeting auf national höchster Management-Ebene statt. Das Marketing-Department hat einen prominenten Markenbotschafter und einen Youtube-Fruit-Influencer engagiert, um das Thema Obst-Kiste kommunikativ zu emotionalisieren. Zwei Kolleginnen der mittleren Managementebene haben sich als Kirsche und Pfirsich verkleidet. Der Big Boss singt „cin cin – cin cin“. Anmerkung der Redaktion: „Wer das Lied nicht kennt, hat Tutti Frutti nie geliebt.“ Ich darf die Risiken und die Chancen einer wöchentlichen Obstkiste kurz in Bullet-Points in Englisch darstellen. Die Einkäuferin gibt nicht auf und meint abermals, dass es auch eine Tüte tun würde. Der nationale Vorstand verdreht die Augen, nickt senil verständnisvoll, hat aber die Sachlage innerhalb von 5 Minuten messerscharf begriffen. Er stellt nur eine Frage: „Welche Erfahrungen haben unsere Departments in anderen europäischen Ländern mit Obstkisten?“ Die Einkäuferin flüstert „Obsttüten“ hinzu und wird vom Betriebsrat zu Boden geworfen, geknäbelt und in den Druckerraum eingeschlossen. 30 Sekunden Stille im Raum. Daran hat niemand gedacht. Unsere Obstkiste tritt die Reise nach Europa an und wird in die Wiedervorlage-Mappe für den nächsten internationalen Partner-Call of the Month gelegt. Er findet physisch in Monte Carlo/Monaco statt. Wir bereiten die Unterlage auf sieben verschiedenen Sprachen vor und stellen fest, das Obst auf isländisch „ávöxtum“ und auf polnisch „owoc“ heißt. Man einigt sich international auf den Begriff „Fruit Box“ und das Thema wird vorab zur weiteren Abstimmung in den Aufsichtsrat gegeben, der es ohne Anmerkung an den Finanzvorstand im Headquarter weiterleitet. Hier gibt es wiederum Rückfragen, was die Finanzierung und die Skalierung des Projektes angeht. Soll die wöchentliche Obstkiste rein aus lokalen, nationalen Mitteln finanziert werden, übernimmt die Region Europa oder soll das Headquarter international subventionieren? Hat man eventuell noch an zusätzliche Branding-Partner gedacht oder an Sponsoren aus den Fruit-Plantagen in Bogota/Kolumbien? Wird es internationales Crowd-Funding geben? Mensch Leute, es geht hier doch nur um eine Obst-Kiste.

 

So ein Mist. Das haben wir unterschätzt. Die Finanzierung der Obstkiste scheint immer noch unklar. Die international gegründete Projektgruppe von Obstkisten-Experten aus sieben Ländern geht nochmal ganz anders ran. Neben Fragen zur Finanzierung, stellen wir vorausschauend die Themen Nachhaltigkeit & Umweltmanagement, Beschaffung & Logistik, IT & Datenverarbeitung, Forschung & Entwicklung, Öffentlichkeitsarbeit & Vermarktung, Reporting & Dashboards, Mitarbeiter-Incentives, monatliche Gewinnspiele, Governance & Compliance and so on dar. Die Präsentation zur Entscheidungsfindung ist meanwhile eine 134 seitige Dokumentation mit 42 Back-Up Folien in sieben Sprachen. Zusätzlich hat die Data-Analytic-Spaceship-Besatzung Analysen und Auswertungen über das europäische Obst-Essverhalten verlinkt und in ein Obst-Dashboard für die Unternehmensleitung integriert. Ein Power-BI-basiertes Dashboard-Tool auf internationaler Partner-Ebene mit einer Anwenderanleitung auf 448 Seiten je Language. Aber das Anwender-Know-How kann in einer Lean-Management-Learning-Session in nur 4 Wochen im Self-Learning-Education-Tool im Home-Office mindmäßig geowned werden.

 

Zeitsprung. Heute ist Deadline-Day. Ich präsentiere im erweiterten European-Decision-Board im Monaco unsere Obst-Kisten-Idee und die europäische Projekt-Gruppe drückt mir im Hintergrund die grünen Obst-Daumen. Dem Anlass angemessen trage ich ein orientalisches Outfit mit einem „Jubbah Thobe Jalabiya“ in Cremefarben und arabische Sandalen in sandweiss. Ich möchte positiv, freundlich und hell wirken. Nach 2 Stunden 30 Minuten One-Man-Obst-Show ohne Zwischenfragen bereite ich mich auf das Management-Feedback vor. Der europäische Vorstandsvorsitzende steht auf, lächelt, klatscht und ruft auf sieben Sprachen laut hintereinander: „lecker“, „yummy“, „smaskigt“, „pyszny“, „lezzetli“, „lekker“, „delizioso“ und „guter Mann“. Am Abend-Himmel flackert eine bunte Pyronale-Show in Form von verschiedenen Obstsorten. Die Banane wirkt leider in Verbindung mit den zwei kleinen Kirschen wie ein Neon-Phallus-Symbol. Aber egal. Die Europa-Entscheidung ist gefallen und ich darf nächsten Monat unsere Obstkisten-Idee im weltweiten Partner-Council präsentieren. Was ziehe ich bloß an? Das kläre ich später. Jetzt mache ich mir erstmal zur Belohnung einen Banane-Mango-Kiwi-Smoothie mit veganer Milch und einem guten Schuss „Beluga Noble Russian Vodka“. Ich stoße mit meiner Kollegin an, die die Idee mit der Obstkiste vor 8 Monaten hatte. Wir lachen und fragen uns, ob wir auch parallel noch eine Gemüse-Kiste anfragen sollten. Geht ja schnell in unserer Company. Egal. Hauptsache ihr bleibt alle gesund. Und dazu gehört eben auch manchmal der Griff in eine Obstkiste! In diesem Sinne, Tutti-Frutti, Cin-Cin.

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