Warum immer so kompliziert?

 

Warum muss denn immer alles so unendlich kompliziert sein? Diese Frage stelle ich mir schon das eine oder andere Mal in der Woche. Es beginnt häufig mit einer einfachen Frage oder einem konkreten Wunsch und endet dann mit einem Nuklear-Schaltplan zur Eroberung entfernter Galaxien. Neulich zum Beispiel. Ich wollte eigentlich nur mal eben schnell fünf Äpfel am Obst- und Gemüsemarktstand kaufen. Eigentlich kein großer Akt. Anstellen, Wunsch äußern, bezahlen, Äpfel einstecken und wieder weg. Dürfte normalerweise nicht länger als drei Minuten dauern. Aber in unserer komplizierten Welt läuft der Hase anders. Einem schnellen, kurzen Apfel-Einkaufsprozess stellt sich der türkische, selbsternannte Apfel-Verkaufs-Profi und sein übertrieben überdimensioniertes Angebot entgegen. Aber der Reihe nach. Nach zwei Minuten warten bin ich an der Reihe und bestelle kurz und knapp: „Fünf Äpfel, bitte!“ Und dann reißt mich ein Apfel-Fachwissen-Tsunami um. „Ja, sehr gern. Möchten Sie Breaburn, Elstar oder Gala? Der Golden Delicious sowie der Holsteiner Cox sind ganz frisch und der Boskop und der Jonagold sind im Angebot!“ Und dann war ich einen Moment leichtsinnig und stellte eine folgenschwere Frage. „Oh, ähh, was ist denn der Unterschied?“ Darauf hat er gewartet. Der Apfel-Profi holt tief Luft und die Damen und Herren hinter mir in der Schlange sacken zusammen. „Also, mein Lieber, der Elstar ist eher feinsäuerlich, würzig aber erfrischend. Der Breaburn eher süß und schwach aromatisch. Aber mit knackigem Fruchtfleisch. Der Gala ist süßfruchtig und feinaromatisch und der Holsteiner Cox hat ein gelbes bis cremefarbiges Fruchtfleisch. Aber eher grobzellig. Das muss man mögen. Der Jonagold ist schon ein bißchen vollreif, daher weich und mürbe. Welcher darf es sein?“ Versteht ihr was ich meine? Warum muss denn alles so kompliziert sein?

 

Am Nachmittag möchte ich mir gern eine neue Jeans kaufen. Hab´ ein bißchen abgenommen und bin stolz darauf. Das will ich zeigen. Ich lächle die nette Verkäuferin an und signalisiere hilfesuchend Gesprächsbedarf. „Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?“ Das Gespräch beginnt solide, freundlich und endet wieder in einem totalen Chaos. „Ich hätte gern eine Jeans!“ waren meine letzten Worte, bevor ich vollkommen eingeschüchtert das Geschäft verließ. Natürlich ohne Jeans. „Ja sehr gern. Was soll es denn sein? Eine Regular Fit oder eine Standard Fit? Eine Comfort Fit halte ich für übertrieben. Aber eine Comfort Leg könnte helfen. Eine Bootcut schließen wir mal aus. Welchen Look möchten Sie denn? Stoned, moon, sand oder acid washed, eine raw oder eine bleached denim? Used oder vintage? Haben Sie denn eine bestimmte Marke im Auge? Levis, Lee, Wrangler oder Diesel? Replay oder G-Star? Empfehlen kann ich Boss Sport und Pepe Jeans London. Im Angebot sind die Freeman T. Porter und die Joker Jeans!“ Ich unterbreche ungern Fachleute beim Fachsimpeln, aber hier hake ich bewußt ein. „Ich hätte gern eine Blaue!“ Und da kommt der Konter wie aus der Pistole geschossen: „Ah ok. Dark Blue, White Blue oder eher so Middle? Blue Black und Black Black ist ein aktueller Trend. Am besten als power-used.“ Ich freue mich sehr darüber, dass diese Dame offensichtlich ihre Leidenschaft zum Beruf machen konnte, aber eine neue Hose habe ich bis heute noch nicht. Auf dem Heimweg lachen mich wieder tolle Wahlplakate an. Es geht wieder los. Ehrlich gesagt weiß ich, trotz politischer Weltkunde in der achten Klasse im Schulunterricht, viel zu wenig von diesem demokratischen, parlamentarischen Wahl-Irrsinn mit Erst- und Zweitstimme, Bundestags- und Landtags- oder sogar Europawahl. Meines Wissens wird der Bundestag alle vier Jahre gewählt, das europäische Parlament alle fünf und unser lieber Bürgermeister auf Kommunalebene wird für fünf Jahre bestimmt. Kann mich aber auch irren. Spontan habe ich aber keine verlässlichen Antworten auf folgende Fragen parat. Die könnt Ihr ja dem lieben Aufsichtspersonal im Reichstag mal stellen. Haltet es einfach fest, wenn er wegrennen möchte. So wie ich aus dem Jeans-Laden.

 

# Wie viele Mandate gibt es denn im Bundestag überhaupt und von wie vielen Einwahlkreisen werden denn die Abgeordneten gewählt? Und welche Rolle spielt eine 5-Prozent-Hürde?

 

# Ist die Erststimme für die Wahl des Wahlkreiskandidaten und die Zweitstimme für die Wahl der Landesliste einer Partei? Oder andersrum? Und wie viele Parteien gibt es denn überhaupt?

 

# Was unterscheidet Überhangmandate von Ausgleichsmandaten und was ist ein Direktmandat? Oder ist das alles dasselbe?

 

# Arbeitet die gewählte Bezirksverordnetenversammlung im Abgeordnetenhaus? Und was machen die da überhaupt?

 

# Erhält jede Bezirks- bzw. Landesliste, die Zweitstimmen erhält, automatisch einen Sitz im Abgeordnetenhaus? Und was ist ein Sitzzuteilungsverfahren?

 

# Und was ist ein Hammelsprung im parlamentarischen Sinne?

 

Genug Politik. Meines Wissens kann das alles nur ein Fachmann korrekt und genau beantworten. Und wenn wir in Deutschland von einem genug haben, dann von selbsternannten Fachleuten. Ob Politik, Jeans oder eben Äpfel. Das ist ganz egal. Macht Euch jedenfalls einen schönen Tag. Ich logge mich jetzt in den Wahl-O-Mat ein. Will ja meine Kreuze auch an die  richtige Stelle auf der Parteientapete setzen. Aber ganz wichtig: bitte korrekt ankreuzen. Da muss man sich schon Mühe geben. Sonst ist die Stimme ungültig und damit unbrauchbar. Das ist übrigens bei einer Bundestagswahl alles im § 39 des Bundeswahlgesetzes klar beschrieben. Fachleute eben. Kompliziert eben. Deutschland eben. Schönen Abend noch.

 

Druckversion | Sitemap
© Olli Dahlke - Botschafter des Humors