Ice Ice Baby

 

Und? Heute schon eiskalt transformiert worden? Nein? Dann aber los. Jeder und alles wird transformiert. Auch Du. Ohne Ausnahme. Ob sprunghaft oder langanhaltend – egal – Hauptsache es wird etwas verändert. Keine Sorge, ich spreche heute nicht zum tausendsten Mal über die Digitalisierung, die Elektromobilität, die Klimaveränderungen, europäische Hoheitsgebiete oder sogar über Rechtschreibreformen oder gendergerechte Pronomen-Fantasien. Nein, es ist Sommer. Wir genießen seit Wochen durchgehend Tag und Nacht 30 Grad. Die Sonne brennt und meine Haut glüht wie eine seit Stunden versehentlich voll aufgedrehte Herdplatte. So kann es nicht weitergehen. Ich brauche eine Abkühlung. Ein Eis. Tolle Idee. Früher gab es da drei konkrete Möglichkeiten. Der Eiswagen bimmelte und hatte fünf verschiedene, allseits bekannte Eissorten im Angebot. Schoko, Vanille, Erdbeere, Pistazie und Zitrone. Ab drei Kugeln gab es eine Waffel dazu. Oder man lief zum Kiosk und kaufte sich ein Eis am Stiel. Und hier trennte sich die Jugend in zwei verfeindete Clans. Auf der bösen Seite der Macht standen die Schöller-Schlecker und auf der Imperium-Seite dienten die Langnese-Lecker. Aber eigentlich war es vollkommen egal, ob Schöller, Eis-Diele oder Langnese. Hauptsache eine Abkühlung, Hauptsache ein Eis. Mit großen Kinderaugen schauten wir in die Tiefkühltruhen. Wenn draußen an der Tür die Schöller-Fahne hing, gab es den Doppellutscher, die Saturn-Rakete, den Pinocchio und eine Diskus-Waffel. Wenn man besonders erwachsen wirken wollte, fiel die Wahl auf eine große Samoa-Tüte. Gegenüber hing die Langnese/Eskimo-Fahne im Schaufenster. Da wurden schon ganz andere Kaliber aufgefahren. Dolomiti, Brauner Bär, Ed v. Schleck, Capri, Nogger und Calippo. Und wem das nicht ausreichte, wählte ein Super-Cornetto Rumba. Nebenbei summte man „Like Ice in the Sunshine“. Bestens bekannt aus der Werbung. Langnese? Gibt´s auch hier im Kino!

 

Aber zurück zum Eis-Mobil, das am Wochenende zu uns in die Siedlung kam und direkt aus dem Wagen verkaufte. Zur Erinnerung: es gab die Eissorten Schoko, Vanille, Erdbeere, Zitrone und Pistazie. Pistazie war etwas für Streber, Klug- und Heimscheißer sowie für Erwachsene. Also fiel meine Wahl auf den Klassiker in der Tüte. „Drei Kugeln, bitte. Schoko, Vanille, Erdbeere.“ Zehn Sekunden später war mein Glück perfekt und die Zunge drehte sich um die Eiskugeln wie es sonst nur erfahrene Table-Dance-Tänzerinnen an der Pole-Stange in Hamburgs Dollhouse tun. Auch lecker. Aber nun zurück zum Eis und die Transformation vom Schoko-Vanille-Erdbeere-Dreiklang ins heutige Eis-Sorten-Overload-Universum.

 

Der Eiswagen war früher ein umgebauter VW Bulli mit klappbarer Verkaufs-Luke und gehörte dem Italiener Salvatore. Salvatore bimmelte pünktlich jeden Tag um 16:00 Uhr vor dem Sportplatz. Bezahlt wurde mit Münzen und wenn es nicht für drei Kugeln reichte, gab es Kredit bis morgen. Und heute? Tja, heute sieht die Welt vielleicht so aus. Salvatore ist im wohlverdienten Ruhestand. Und da die neuen Generationen bei 30 Grad nicht mehr arbeiten wollen, hat er leider keinen Nachfolger für sein Eis-Mobil gefunden. Es hat sich daher eistechnisch ausgebimmelt. Frühe Folgen des Fachkräftemangels.

 

Dafür ist die Sortenvielfalt in der Eis-Diele dramatisch angestiegen. Von Schoko-Vanille-Erdbeere auf bis zu 23.416 verschiedene, tagesaktuelle Sorten. Allein die Eistafel auf Natur-Schiefer täglich neu zu beschriften erfordert einen Volkshochschulkurs in angewandtem Hand-Lettering und Miniatur-Typografie. Heute im Super-Sonder-Angebot: Aperol-Sushi-Sahne, Gorgonzola-Pepperoni, Kürbis-Tannenzäpfle-Cremefraiche, Rote Beete-Ziegenmilch, Trans-Nougat-Redbull, Spargel-Kartoffelsalat, Rosmarin-Hornhaut, Popcorn-Wodka, Schnake-Pastinake, Kryptonit-Hollondaise, Barbeque-Klarlack. Alles natürlich auch in rein vegan und/oder mit Fischstäbchen. Die Waffeln gibt es in den Größen Large, Grande, Eimer und Matrosenseesack. „Im Becher“ kostet allerdings extra, da er aus recycelten, erneuerbaren Hanfknospen in Kolumbien hergestellt wird und im Unterbewusstsein leicht high macht. Die Topping-Auswahl macht die Sache rund. Drachenfrucht-Silberkugeln, Nutella-Dünnpfiff oder Pizza-Bolognese. Zum Mitnehmen oder Hier-Essen? Ich nehme noch einen Müsli-Rhabarbar-Zero-Suger-Uran-Shake-Slushy togo mit, frage nach gendergerechten Umkleidekabinen und gebe beim Google-Rating Null Sterne, da es zwischen 13:48 Uhr und 14:22 Uhr eine unerklärbare Lücke im Toiletten-Reinigungs-Protokoll gibt. Ich weise den Eis-Dielen-Inhaber noch schnell darauf hin, dass er seiner Kennzeichnungspflicht auf der Zutatenliste bei unverpackter Ware über die Bedientheke nur unzureichend nachkommt. Das wird natürlich ein Nachspiel haben. Aufgrund der Hitze liegen die Nerven bereits blank. Er wird sofort handgreiflich und ich ziehe mir blitzschnell eine Warnweste an und klebe mich vor dem Eingang fest. Auf meinem vorbereiteten Aktivismus-Plakat steht: „Lieber Bio-Eis, statt Klima-Scheiss.“ In diesem Sinne, schönen Sommer, Ice Ice Baby.

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© Olli Dahlke - Botschafter des Humors