Der Koloss von Rhodos.

 

Trotz aller Corona-Umstände wollen wir morgen in den Sommer-Urlaub starten. Die Bedenken fliegen allerdings mit: erhöhte Ansteckungsgefahr, nervender Mund-Nasen-Schutz, drohende Quarantäne, komplizierte Einreise-Schwierigkeiten, belastende Hygienebedingungen, die einem den Urlaub verderben und im schlimmsten Falle kommen wir gar nicht mehr zurück, da es einen weltweiten neuen Lockdown mit Vollsperrungen aller Flughäfen geben könnte. Auweia, aber in Gedanken höre ich den Wendler: „Egal!“ Wird schon schief gehen. Das ziehen wir jetzt durch. Morgen geht es ab nach Rhodos. Gleitschirmfliegen über dem Mittelmeer, Sonnenbaden am Strand, mediterrane Fischküche und viele nette Menschen, die einem die Wünsche nur so von den Lippen ablesen. Ich tagträume mich in Rage und nicke dabei leise ein.

 

Meine Frau schreit sich auch schon seit circa zwei Stunden in Rage. Der blöde Koffer will einfach nicht schließen. Ein kleiner Blick genügt, um das Problem zu erkennen. Bademoden, Cocktail-Kleider, Abendgarderobe, circa acht Sommer-Outfits je Tag und drei Klamotten-Varianten für den Abend. Zwölf Paar Schuhe und sechs verschiedene Sonnenhüte. Die Out-Fit-Abteilung von „Heidis Germanys next Topmodell“ würde neidisch schauen. Die gesamte Zalando-Welt soll in einen Koffer passen. Ich schleiche leise rückwärts aus dem Zimmer. Da kann ich wirklich nicht helfen.

 

Das bestellte Taxi steht pünktlich bereit. Leider nur mit einem E-Klasse T-Modell und nicht mit einem Sattelschlepper mit dem Ladevolumen eines Güterwarenverkehrs nach Übersee. Wir nehmen also nur jeden vierten Koffer mit und die Garderoben-Rollcontainer im Schrankwandformat bleiben auch unberücksichtigt am Straßenrand stehen. Meine Frau schaut den Taxifahrer zornig an, meine Kinder grinsen und ich schwitze, da die Klima-Anlage im Auto auch nicht funktioniert. Was für ein Start. Im Radio läuft „Ich hab´noch einen Koffer in Berlin“ von Hildegard Knef. Wie passend.

 

Beim Einchecken an Schalter 1725 im Terminal C werde ich höflich darauf aufmerksam gemacht, dass die Personalausweise meiner Kids abgelaufen sind. Meine Frau bekommt davon nichts mit. Sie ist in der Flughafen-Boutique und probiert die entstandene Klamottenlücke zu füllen. Meine Kinder grinsen schon wieder und ich schwitze nicht mehr. Nein, ich fließe davon wie der Amazonas nach zwölftägigem Landregen. Unter Einschaltung von drei Zollbeamten, vier Bundespolizisten, einem betagten Pfarrer und dem veganischen Flughafenschamanen bekommen wir eine kurzfristige Verlängerung der Personalausweise doch noch geregelt. Pro Ausweis sind das acht Euro und die Bescheinigung gilt nur für die Dauer der Reise. Die 16 Euro Zusatzkosten fallen aber auch nicht mehr auf, da wir 780 EUR für Übergepäck entrichten dürfen. 20 EUR je Kilo und pauschal 300 EUR wegen Nichteinhaltung des erlaubten Gurtmaßes. Hinter mir steht wieder der Wendler und singt: „Egal!“ Hauptsache eingecheckt.

 

Die zwei Stunden Boarding-Zeit wurden übrigens auf sechs Stunden verlängert, da sich circa acht splitterfasernackte Umwelt-Aktivisten an die Gangway gekettet haben. Auf ihren Plakaten steht „Lieber lieben als fliegen!“. Endlich im Flugzeug angekommen, stoße ich direkt mit meinem Kopf an etwas Spitzes aus der Gepäckablage. Wer zum Teufel nimmt Langlaufskier mit in den Sommer-Urlaub nach Rhodos? Egal. Ich blute nur leicht. Meine Kinder grinsen, während meine Frau bereits sitzt und einen Cappuccino, einen Aperol Spritz und eine Dior Sonnenbrille aus dem Bord-Programm bestellt. Drei Stunden später befinden wir uns im Landeanflug. Leider nicht auf Rhodos, sondern auf Kreta zur spektakulären Notfall-Landung. Die Triebwerke des Flugzeuges sind teilweise ausgefallen.

 

Von Kreta geht es erst mit dem Bus, dann mit dem Schiff weiter. Auf der Fähre zeigen wir als Familie echten Zusammenhalt. Nebeneinander hängen wir über der Reling und brechen gemeinsam das klamme Club-Sandwich aus dem Flugzeug wieder aus. Die Überfahrt nach Rhodos dauert 14 Stunden. Mehr muss ich nicht dazu sagen.

 

Beim Check-In im Hotel lächelt mich die Empfangsdame freundlich an und meint, dass man bereits gestern mit unserer Anreise gerechnet hätte. Ich erzählte ihr von der Notlandung und dem 14-Stunden-Fähre-Spaß bei starkem Seegang. Jedenfalls hat sie nun in der Früh unsere Familien-Suite mit Meerblick bereits anderweitig vergeben, da sie nicht sicher war, ob wir überhaupt noch anreisen werden. Wir bekommen ein anderes Zimmer. Mit Müllblick anstelle Meerblick. Und mit Straßennähe anstelle Strandnähe. Was für ein Start in die schönste Zeit des Jahres. Der Grieche nennt so etwas: „Κακοτυχία”.

 

Der Rest des Urlaubes schnell in Stichpunkten:

-  Der erste Schritt ins Mittelmeer landet satt auf einer Feuerqualle.

-  Aufgrund des Stromausfalls an der Pool-Bar gibt es nur lauwarme Getränke aus Plastikbechern.

-  Beim Sprung vom Poolbeckenrand verliere ich die Badehose und lande nackt neben einem 5-jährigen Kind. Anzeige wegen

   sexueller Belästigung einer Minderjährigen inklusive.

-  Alle anderen Urlaubsgäste meiden mich wegen des Vorfalles im Pool und der Anzeige. Sie zeigen mit Fingern auf mich und

   rufen „Da ist das Pedo-Schwein!“

-  Die Kombination aus Küstenwind und Meersalz sorgt für eine mittelschwere Bindehautentzündung. Ich werden vom

   griechischen Tierarzt behandelt.

-  Die Sonnen-Allergie-Pickel gehen schon nach vier Tagen zurück. Man kann ja nicht nur Pech haben.

-  Ich pralle mit meinem stark übergewichtigen Bananenboot-Partner mit den Köpfen zusammen und bleibe vier Stunden

   regungslos am Strand in der knallen Mittagssonne liegen.

-  Ich komme mit einem Sonnenstich der Eskalationsstufe 4 fantasierend wieder zu mir.

-  Meine Frau flirtet mit Mister Griechenland im Sonnenuntergang.

-  Meine Kinder habe ich seit Tagen nicht mehr gesehen.

-  Beim Beachvolleyball breche ich mir einen Finger und schlitze mir den Fuß an einer angeschlagenen Muschel auf.

-  Wegen des griechischen Olivenöles habe ich zwei Tage feinsten Dünnpfiff.

-  Auf Rhodos steigen die Corona-Infektionen stark an.

-  Die griechische Regierung kündigt einen Lockdown an.

-  Die deutsche Regierung verweigert prophylaktisch alle Not-Heimflüge durch die deutsche Bundeswehr.

-  Ich denke ernsthaft über einen Suizidsprung vom Koloss von Rhodos nach. Merke dann aber, dass die 30-Meter-hohe

   Bronzestatue selber 227 vor Christus die Grätsche gemacht hat.

 

Doch dann wache ich aus meinem Tagtraum wieder auf. Ein Glück. Ich bin noch nicht auf Rhodos, meine Finger sind alle ok und meine Frau packt gemeinsam mit den lieben Kindern unsere Urlaubs-Koffer. Das Radio spielt „Surfin USA“ von den Beachboys und ich liege auf meiner Terrasse sicher im Liegestuhl. Alles nur geträumt. Unsere Reise startet erst morgen. Ich schwitze, lächle und überprüfe vorsichtshalber die Personalausweise der Kinder. Gültig bis 08/2023. Der Urlaub kann also kommen. Ick freu mir.

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© Olli Dahlke - Botschafter des Humors