Was man an einem Nachmittag in einem Berliner Hallenbad erleben kann, ist wirklich unfassbar. Dieses Abenteuer-Erlebnis kann kein Jochen Schweizer dieser Welt versprechen. Aber der Reihe nach. Schon auf dem Parkplatz mischen sich Freude und Ärger miteinander. Die Freude ist groß: gerade noch den letzten freien Parkplatz bekommen. Top. Der Ärger ist allerdings auch nicht weit: voller Parkplatz bedeutet gleichzeitig volles Hallenbad. Flop. Am Eingang müssen wir warten. Lange Warten. Denn eine sechsköpfige Familie, die leider kein einziges Wort deutsch versteht, lässt sich die Badeordnung in Gebärdensprache erklären. Der Pantomime im viel zu engen Kassenhäuschen steht schon kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Egal. Jetzt sind wir drin. Mädchen nach links, Kerle nach rechts. Als Kind war ich maximal eine Minute in diesem Umkleidebereich. Klamotten runter, Badehose an und Kopfsprung ins Becken. Heute ist es anders. Ich renne voll bekleidet bereits die dritte Ehrenrunde in den stickigen Umkleidegängen, um einen freien, funktionierenden Klamottenschrank zu finden. Und ich suche nicht als Einziger. Bestimmt sieben anderen Männern geht es ähnlich. Aufmerksam wie ein Erdmännchen und flink wie eine Ratte beobachtet man sich. Da! Ein Schrank mit Schlüssel. Wie ein hungriger Falke auf eine Maus, stürze ich mich auf den Umkleideschlüssel. Vergebens. Der Schrank ist defekt und der Schlüssel lässt sich nicht bewegen. Die anderen Männer grinsen vor sich hin. Sie kannten den defekten Schrank schon. Die Suche geht weiter. Aber ohne mich. Ich verliere hier und jetzt die Nerven zum ersten Mal. Fluchend ziehe ich mich auf dem Gang aus, verstaue meine Klamotten in der Tasche, hänge mir meine Jacke mit dem Winterschal über den Arm und gehe wie ein in die Jahre gekommener Packesel Richtung Schwimmbecken. Da trifft mich der Schlag. Oder um genau zu sein: ein Wasserball. In Gedanken schlitze ich ihn auf, wie Jack the Ripper sein Opfer in der dunklen Hambury Street im Armenviertel in London. In der Realität schmeiße ich ihn einfach wieder zurück ins Nochtschwimmerbecken. Kann ja mal passieren.
Das Nichtschwimmerbecken heißt ja Nichtschwimmerbecken, weil es so bummsvoll ist, dass man dort keinen einzigen Meter drin schwimmen kann. Dank kontinuierlichem, diskretem Urin-Dauer-Zufluss ist es dafür schön warm. Meine Kinder wollen da rein, also gehe ich dort auch rein. Begrüßt werde ich von einem achtjährigen Taucher. Und zwar mit einem ansatzlosen Sidekick direkt in den Bauch. Ich zucke zusammen und lächle den Schmerz einfach weg. Es ist hier voller, als in einer gemischten Sauna, wenn sich das schwedische Bikini-Volleyball-Team vorher per Annonce in der BILD angekündigt hat. Die Situation ist nur vollkommen anders. Ich frage mich ernsthaft, wie manche in ihren Badeanzug gekommen sind? Wahrscheinlich sind sie durch das eingefettete Gerät gesprungen, welches das Tannenparadies in der Adventszeit zum Einnetzen der Weihnachtsbäume benutzt. Andere hingegen kommen direkt aus dem Bergwerk, wo sie Untertage wochenlang nach Kohle gegraben haben. So sehen zumindest ihre Fußnägel aus. Abartig. Weitere Darsteller des Badeschauspiels sind in etwa 300 wilde, unbeaufsichtigte Kinder unter zehn Jahren, 20 Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren, die Ball spielen und dabei denken, sie wären die Star-Pitcher der Bosten Red Sox und fünf gelangweilte Bademeister in Gummistiefeln. Kurz gesagt: es herrscht Krieg im Nichtschwimmerbecken. Es gelten hier die gleichen Bedingungen, wie im Bootcamp des United States Marine Corps. Nahkampf, Anschreien, Überleben. Hier im Stadtbad wurde bestimmt Full Metal Jacket erfunden, denke ich noch so und stelle mich an der Rutsche an. Vor mir steht Privat Paula. Er weint. Wie immer.
Ein großer Vorteil einer breiten Betontreppe ist die Stabilität. Ein großer Nachteil der Betontreppe sind die vier Generationen Fußpilz, die sich in die Fugen gefressen haben. Im Slalom geht´s also die Treppe rauf. Das Rutschen war dann an sich ziemlich unspektakulär. Wie alle anderen auch, knalle ich schreiend mit voller Wucht in die Bademenge, die das große Schild „NICHT IM RUTSCHBEREICH AUFHALTEN“ ignoriert haben. Egal. Es wird immer voller im Beckenbereich. Vor dem Drei-Meter-Sprungbrett bildet sich mittlerweile eine Schlange, wie vor einem Mediamarkt, der heute große Flatscreen-Verschenke-Aktion von Sony hat. Das gebe ich mir dann doch nicht. Die Lippen meiner Kinder sind nach drei Stunden baden hellblau, die Haut ist aufgeweicht wie nach einem Fairy-Ultra-Arbeitstag bei Villariba-Villabajo ohne Handschuhe und der Rücken schmerzt immer noch vom unkoordinierten Rutschenaufprall. Es reicht. Wo sind meine Adiletten? Feierabend.
Die Umkleide gleicht einem Ameisenhaufen. Es geht drunter und drüber, es riecht nach einer fiesen Chlor-Pusche-Mischung und ich stelle meine Badetasche in eine Pfütze. Fluchend stoße ich mir den Kopf an der Umkleidetür. Es blutet. Aber nur leicht. Ich atme durch. Ich schwinge mich noch halbnass in die Jeans. Ein tolles Gefühl. Hier will ich nicht länger sein, als unbedingt notwendig. Aber den Kindern hat es Spaß gemacht. Und das ist doch die Hauptsache.
Auf dem Parkplatz wartet noch die letzte Überraschung auf mich. Unter dem Scheibenwischer hängt ein Knöllchen. Na super. Hier ist Parkraumbewirtschaftung. Die 15 Euro sind jetzt auch egal. Ich knalle mit Lichtgeschwindigkeit vom Parkplatz, wie vorhin von der Rutsche und stelle dabei fest, dass ich immer noch am Kopf blute. Auf zur Notaufnahme. Das Krankenhaus ist direkt um die Ecke. Das kann doch kein Zufall sein. Der Notarzt in der Notaufnahme fragte mich, wie das passiert ist. Ich erzählte vom Nachmittag im Hallenbad. Und er meinte: „Ohh, wirklich? Na da können Sie ja froh sein, überlebt zu haben!“ Ich schmunzele und denke: „Da hat er Recht!“ Einen Nachmittag im Berliner Stadtbad kann man sich bestimmt auf die Ausbildung der U.S. Marines im Lehrgebiet „Hinterhalt“ anrechnen lassen. In diesem Sinne, schönen Abend. Ich lass mir jetzt noch ein Vollbad ein. Aber gepinkelt wird vorher auf der Toilette. Grins.