Die grüne Woche und ich.

 

Zu dieser Story haben über 50 liebenswerte, verrückte, tolle, faszinierende Menschen über Facebook Ihren Input in Form eines Wortes gegeben. Und deshalb, liebe Freundinnen und Freunde, nehme ich Euch gedanklich mit auf die „Grüne Woche“ in Berlin. Seht selbst, was mit Euren Worten entstanden ist. Es ist unfassbar und lustig.


 

Die internationale Grüne Woche in Berlin – ein Erfahrungsbericht.


 

Da braucht Ihr gar nicht lachen, schmunzeln oder mit dem Kopf schütteln. Ja, ich war einen ganzen Samstag auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin. Am Messe-Zentrum. Das volle Programm. Ich habe nichts, aber auch wirklich gar nichts ausgelassen. Ferne Länder, bekannte Bundesländer, außergewöhnliche Menschen und Tiere. Tolle Blumen, exotische Getränke und Gespräche mit Tierärzten, Politikern, Wein-Königinnen und vieles mehr. Apropos viel. Getrunken habe ich auch. Sehr viel. Hefeweizen, Pils, Caipirinha und Schnaps pur. Das macht dort jeder. Das muss so sein. Typisch Grüne Woche. Aber der Reihe nach.


 

Gleich zum Start wird mir schnell klar: ich bin hier nicht allein. Schon am Eingang wird gedrängelt. Das ist ja unfassbar. Aber lustig. Ein alter Knacker schiebt sich den Weg mit seinem Rollator rücksichtslos frei. Und auf seiner Umhängetasche sind zwei Aufkleber von 1985. „Ein Herz für Kinder“ und „Ich bremse auch für Tiere“. Eine Oma in viel zu enger Kittelschürze versucht sich unerlaubt durch den Aussteller-Eingang rein zu mogeln. Mit Erfolg. Hier ist was los. Wahnsinn. Da muss ich auch dabei sein. Ich bekomme die Aktivierungsbestätigung meiner Eintrittskarte und schon bin ich drin. Ich schiebe mich mutig in die Mitte der Senioren-Traube. Es riecht nach Mottenkugeln und leicht nach Urin. Nein, nein, das war nur Spaß. Nach Mottenkugeln riecht es wirklich nicht. Was aber tatsächlich stimmt, ist das hohe Alter der Besucher. Das fällt auf. Oma Krause gehört hier eindeutig zum Establishment. Und da kommt hupend auch schon der nächste Mannschaftsbus und spuckt neue rüstige Rentner aus. Beim Aussteigen kontrolliert der Fahrer die Taschen, ob alle komplett für die Grüne Woche ausgerüstet sind. Sehhilfe? Check! Hörgerät? Waaas? Check! Organspendeausweis? Check! Wechsel-Schlüpfer? Check! Und manche Veteranen setzen dabei sogar noch neue Trends. Der Hülsensack von 1941 wird zum Münzgeldbeutel umfunktioniert und am Krückstock neben der Fahrradklingel griffbereit angebracht. Die sind auf wirklich alles vorbereitet. Echte, multiresistente Grüne-Woche-Profis eben. Ich verneige mich.


 

Es ist 10:00 Uhr. Die Pforten öffnen sich. Wer nicht pünktlich kommt, ist nicht nur ein Nachzügler sondern auch arm dran. Mir egal. Ich bin pünktlich und fließe mit der Masse Richtung „deutsche Bundesländer“ mit. Und zack bin ich in der Halle „Mecklenburg-Vorpommern“ gestrandet. Auf der Bühne steht Mister Störtebeker von der Stralsunder Brauerei und verkündet stolz Weisheiten über seine 19 Brauspezialitäten. In diesem Moment wird die Servicekraft mit vollem Tablett von einer nahezu blinden Brillenschlange angerempelt und eine wahre Bierflut überschwemmt die Bühne. Hier haben die Deichwärter einen miesen Job gemacht. Das darf nicht passieren. Weiter geht` s nach Brandenburg. Als erstes sehe ich ein überdimensionales Schild auf dem UFO steht. Marsmenschen in Brandenburg? Ein genauer Blick klärt` s aber auf. „Uckermarker Freiland Otter“. Eine stark lebensbedrohte Spezies im Brandenburger Grenzland benötigt aktive Paarungshilfe. Dafür bin ich genau der Richtige. Es bleibt allerdings bei einem finanziellen Support. Ich spende zum Erhalt der niedlichen Nager fünf Euro und schiebe mich weiter Richtung Niedersachsen. Ich merke schnell, dass es immer deutlicher nach purer Landwirtschaft riecht. Der Kuhstall kann wirklich nicht mehr weit sein. Aber zuerst bietet man mir ein zwei cm² großes, trockenes Schwarzbrot an und schreit dabei immer wieder: „Lecker, lecker Pumpernickel!“ Na toll, jetzt habe ich mich an diesem trockenen Ding mittelschwer verschluckt und bekomme kaum noch Luft. Unter einem lauten Hustenanfall spucke ich den Brocken rechts an den Rand. Jetzt geht` s mir auch schnell wieder besser. Gut so. Denn es wird interessant. In der Bayern-Halle gibt es nämlich nicht nur den nachgebauten Viktualienmarkt mit bayerischen Spezialitäten, einer Hofpfisterei und einer unendlich großen Auswahl an exotischen Südfrüchten inkl. Fruchtfliegen, sondern auch einen ansehnlichen Landwirte-Fuhrpark. Besonders beeindruckt bin ich von der Kartoffelvollerntemaschine. Baujahr 2006 mit Rollbodenbunker, Kühlungs-Ventilator und Heckauswurf. Der König unter den Agrarfahrzeugen. Damit den Kurfürstendamm rauf und runter. Das macht Eindruck. Ganz bestimmt. Zumindest bei den eingefleischten Fans von „Frauentausch“ und „Bauer sucht Frau“. Ich komme nicht nur ins Schwärmen, sondern auch mit dem Bauern ins Gespräch. Angetrieben wird das Kartoffel-Acker-Monster 2.0 übrigens mit Himbeersaft von Tante Paula. Genau wie das Fliewatüüt von (R)Obbi und Tobbi. „Wollen Sie mal probefahren?“ Ich lehne lieber ab. Habe noch Restalkohol aus der Berlin-Halle im Blut. Habe dort Freunde am Mampe-Stand und an der Pfeffi-Bar getroffen. Mehr muss ich wohl nicht sagen. Da höre ich ein lautes „Muuuhhh“. Die Rinder-Halle. Die meisten Kälber schlafen. Aber auf der Präsentationsfläche ist bereits der Rinder-Wahnsinn ausgebrochen. Tierärzte und sogenannte Besamungstechniker führen eine Live-Befruchtung bei der Kuh Elsa durch. Kaum zu glauben. Tierarzt-Schwester Ingrid steckt bis zur Schulter mit der Hand im Tier. Und der Arzt moderiert dabei: „Der Vorgang ist nicht einfach. Es ist warm, weich und finster und wir sehen nicht, was wir tun. Das erfordert ein hohes Maß an Routine und Übung. Die Erfolgsquote liegt etwa bei 70%. Hängt vom Thermomix des Zuchtbullen-Samens ab.“ Wow. Was für eine Show. Das kann ich auch. Ich gehe zum Streichel-Zoo und schiebe dem Meerschweinchen Bunny einen Lollypop aus Holland ins Hintertürchen. Die Schafe aus Irland schauen auch schon hoffnungsvoll, aber eine Kindergartengruppe aus Wanne-Eickel hat mich beobachtet und verpetzt. Ich werde von der Security bedingungslos aus der Halle geworfen. Jetzt bin ich wirklich traurig. Mit dem Gesichtsausdruck würde ich jeden Schnutenzieher-Wettbewerb gewinnen. Durch den Nebeneingang schleiche ich mich aber wieder rein und stehe direkt im Schankbereich des Hallen-Biergartens. Das Glück kann man eben doch herausfordern. Nach zwölf Runden Weißbier mit den Seppels aus Garmisch und den Albhornbläsern aus dem Allgäu rufe ich die ukrainische Bedienung und fordere die Rechnung an. Ich bezahle mit Kreditkarte und stecke ihr lässig zwei Fuffis als Trinkgeld in die Schürze. Ist ja eh Falschgeld. Habe ich gestern Abend noch frisch ausgedruckt. Sonst wird mir das hier nämlich viel zu teuer. Aber diese Rechnung habe ich im wahrsten Sinne des Wortes ohne Olga gemacht. Sie kennt das Business, hat es sofort gemerkt und keift laut durch die Halle: „Trinkgeldfälscher“. Dann haut sie mir mit einer Bratpfanne aus der Küche die Kniescheibe grün und blau. Die alte Schabracke kennt da kein Erbarmen. Ich flüchte ins Ausland. Also in die internationalen Hallen.


 

Auf einmal bin ich in Südamerika. Ich höre Samba-Mucke und rieche Limetten. Ich gehe so gierig auf den peruanischen Barkeeper zu, wie ein Steilpass in die Tiefe des Raumes. Uwe Rapolder und Jürgen Klinsmann würden als Freunde des Vertikalspiels in die Hände klatschen. Nach fünf Caipis bin ich mit ihm per „Du“. Er heißt Adi, kommt aus Lima und liebt Mountainbiking in den Bergen. Er hat sich gerade gestern einen neuen Downhiller von Scott gekauft. Den Gambler 10. Der nette Kerl scheint ja mit seiner peruanischen Würfelbude auf der Grünen Woche nicht so schlecht zu verdienen. Und er engagiert sich ehrenamtlich für die Erhaltung des Regenwaldes. Dann lädt er mich auf einmal zu einer Runde Wasserpfeife ein und fragt, welches Aroma ich denn bevorzuge. Chumpy Chocolate? Electric Banana? Mango Tango oder Pimpy Fresh Peach? Ich entscheide mich für eine Blackboxpfeife. Da ist die Wirkung eine echte Überraschung. Aber als er dann doch anfängt zu betteln und nach den ersten Zügen solche Begriffe wie zum Beispiel „ökologische Nährstoffkreisläufe“ oder auch „Waldrodungswanderhackbau“ raushaut, verabschiede ich mich und ziehe weiter in Richtung Skandinavien.


 

In der Schweden-Halle verliere ich kurzzeitig die Balance, kippe wie die alte A-Klasse beim Elchtest aus den Latschen und träume von einer wilden Nummer mit Amerikas First Lady Melania Trump in Mexiko. Ihr Ehemann bekommt davon natürlich nichts mit. Ist ja schließlich eine hohe Mauer zwischen ihm und meinem Traum in Mexiko. Es bleibt aber bei dieser einen Träumerei. Als ich wieder wach werde, liege ich in der Holland-Ecke und teste ausgiebig deren Rasenkultur. Ich muss mich übergeben und verteile großzügig die Hefeweizen aus Bayern, die Caipis aus Peru und ein Pumpernickel-Magensäure-Gemisch zwischen den Tomaten und den Pusteblumen. Nach einer kurzen Pause geht` s weiter.


 

Ich bin wieder in Deutschland angekommen. Um genau zu sein im Saarland. Und gerade noch pünktlich zur offiziellen Krönung der Blumen-Prinzessin Saar-Obermosel 2017 inklusive Live-Übertragung der offizieller Pressekonferenz. Die Wahl fällt auf die 9-jährige Michelle Yaoyun-Fischer aus Saarburg. Vor kurzem noch strampelnd auf dem Wickeltisch, eben noch freches Hortkind und fünf Minuten später schon strahlendes Blaublut. So schnell kann es gehen. Später möchte sie gerne Wein-Königin werden. Steile Karriere. Ihre Mutter Frau Yaoyun-Fischer, ein Ex-Pornosternchen aus Thailand, seufzt neben mir: „Ak ja, sie welden so schnell elwacken, die kleinen Plinzessinen!“ und nippt stolz an ihrem Holunder-Kohlrabi-Sanddorn-Obstbrand aus eigenem Anbau. Papa Fischer, der seine Ehefrau in Thailand unter dem Namen Miss Bangkok-Betty kennengelernt hatte, bekommt von alle dem nichts mit. Vor lauter Aufregung hat er massiven Durchfall und verbringt diese wichtigen Minuten seiner Tochter auf dem Messe-Klo. Ich springe für ihn ein, gebe mich heimlich als Papa des Blumenkindes aus, lehne mich selbstsicher auf einen pinken Bisley Container und beantworte die Fragen der Lügenpresse, ähh, ich meine der Journalisten. Links von mir die Moderatorin, rechts von mir die frisch ernannte Blumen-Prinzessin Michelle und ihre stolze, ein Meter fünfzig große Thai-Mami. Hier fühle ich mich wohl als Hahn im Korb. Trotzdem zieht´s mich weiter. Die Messeleitung bittet bereits zum zweiten Mal über Lautsprecher, die Messehallen zu verlassen, da sie in Kürze schließen werden, aber ich wollte doch noch schnell zu den Iren zwei bis vier Guinness schlürfen. Gesagt getan. Dann kommt die finale Ansage über Lautsprecher und zwei Sicherheitsbeamte fordern mich direkt auf zu gehen. Es beginnt eine wilde Verfolgungsjagd, die mit einem Hausverbot für mich endet. Als ich dann doch durch die Ausgangstür springe, reiße ich die Arme hoch, als hätte ich ein Pokalfinale gewonnen. Draußen liegt Schnee. Ich brauch ein Taxi.


 

Nach zwei Minuten Taxi-Fahrt blinkt sich das Reifenkontrollsystem in Rage und der Fahrer flucht in vier Fremdsprachen. Hier wird nicht nur ordentlich Luft vom Fahrer abgelassen, sondern auch vom Reifen links vorne. Wir haben einen Platten. „Alles nicht so schlimm“, sage ich und gebe ihm 500 EUR Falschgeld als Ausgleich. Wir verbringen den weiteren Abend gemeinsam im mexikanischen Restaurant Cancun am Kaiserdamm Messe Nord. Tequila hatte mir gerade noch gefehlt. Dann werden wir von einem südamerikanischen Mann mit sehr großem Sombrero angeschrien: „Amigos, buenos Amigos. Geilomat. Kommt zu mir! Salud!. Es ist unser treuer Caipi-Lieferant Adi aus Peru. Er hat schon ordentlich einen unter der Haube. Wir setzen uns zu ihm an den Tisch und stoßen auf seinen Feierabend an. Ich höre hier nur noch ein Wort: "Salud!" An den Rest des Abends kann ich mich dann leider nicht mehr erinnern. Wenigstens das haben die 400.000 Besucher und ich gemeinsam. Niemand kann sich am nächsten Tag mehr an den Grüne-Woche-Besuch erinnern. Die einen wegen altersgemäßer Vergesslichkeit, die anderen wegen überhöhtem Alkoholkonsum. Es ist quasi so, als wäre eine Abrissbirne durch meine Erinnerungen geknallt. Und genau deswegen geht man jedes Jahr wieder hin. Immer und immer wieder. Jedes Jahr. Ein echter Teufelskreislauf. Wer kommt nächstes Jahr mit?

 

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