Freitag Abend. Draußen ist es kalt. Nebel zieht auf. Wind bläst. Regen setzt ein. Genau das richtige Herbst-Wetter, um mit der ganzen Familie im warmen Nest die verdiente Gemütlichkeit einzuläuten. Und dann? Plötzlich. Es klingelt. Na toll, wer kann das sein? Wer stört denn jetzt noch? Oder ist etwas Schlimmes passiert? Soll ich mich ärgern oder doch eher sorgen? Nach drei Runden „Schere-Stein-Papier“ mit meiner Frau springe ich mit der Erkenntnis fluchend zur Tür, dass Stein die Schere schleift. Durch die Scheibe in der Tür erahne ich den Besuch von Goofy. Oder ist es doch Super Mario, der seine Prinzessin Peach bei mir im Garten sucht? Mit einem Ruck reiße ich die Tür halb aus den Angeln. Der grüne Hulk wäre blass vor Neid. Durch den Windsog unfreiwillig nach vorne getrieben, steht der Hermes-Paketbote in Rückenlage und mit nassen Stiefeln direkt bei uns im Flur. Na super. Der Boden klitschnass, das Paket riecht nach feuchtem Hund und ich unterschreibe mit dem Fingernagel auf seinem Zustell-Smartphone. Nicht notwendig zu erwähnen, dass dieses Paket nicht für uns, sondern für den Nachbarn sieben Häuser weiter war. Zufällig ist dieser gerade gestern für vier Wochen in den Sex-Urlaub zu Bangkok-Betty nach Thailand verschwunden. Was der sich wohl noch bestellt hat? Egal. Jedenfalls steht das Paket, so groß wie ein prall gefüllter Laubsack, jetzt vier Wochen bei uns im Haus im Weg. Es riecht streng nach Latex und wenn man sich dran reibt, flüstert es leise auf chinesisch: „Nǐ yuànyì jià gěi wǒ ma".
Samstag morgen. Ausschlafen. Im Bett nochmal umdrehen. Kaffee-Duft. Frische Brötchen. Plötzlich. Es klingelt. Ich springe auf, gleite verschlafen ins Badezimmer und ziehe mir schnell einen Bademantel über. Haarscharf trete ich barfuß um Millimeter am kantigen Legostein vorbei. Glück gehabt. Allerdings merke ich erst an der offenen Tür, dass ich den Plüsch-Mantel meiner Frau erwischt habe. Das Teil ist sehr kurz, die pinken Blümchen unterstreichen meine Laune und verwirren meinen Besuch. „Schönen guten Tag, wir sind Petra und Paul und möchten gern mit Ihnen über Gott sprechen.“ Ich bin sprachlos. Es ist Wochenende, 7:00 Uhr und Petras Vorderzähne leuchten so hell weiß, dass ich denke Gott leuchtet persönlich meinen Eingangsbereich aus. Ohne ein Wort knalle ich die Tür zu. Petra springt rechtzeitig in Sicherheit. Paul ist leider nicht so flink und klemmt mit der rechten Hand und katholischem Mitgliedsausweis zwischen Tür und Rahmen fest. Eigentlich wollte er mir nur freundlich zum Gruß die Hand reichen. Jetzt werden die Finger dick, dunkelblau und die katholische Gottes-Angehörigen-Karte sinkt in Zeitlupe zu Boden. Petra betet. Meine Frau fragt aus dem ersten Stock, wer geklingelt hat. Ich kann sie kaum verstehen, weil Paul so laut schreit. Ich öffne die Tür nochmal kurz und werfe Paul´s Himmels-Ausweis inklusive Eisbeutel vor die Tür. Will ja schließlich nicht in der Hölle landen.
Sonntag mittag. 13:00 Uhr. Es riecht nach Lasagne. Mein Magen knurrt voller Vorfreude. Ich sitze mit der Welt am Sonntag im Sessel und meine Frau ruft die Kinder. Mittagessen ist fertig. Plötzlich. Ihr könnt es euch schon denken. Es klingelt. Dieses Mal macht meine Frau die Tür auf. Es ist der Eismann-Bote, der fragt ob wir Interesse an einer bequemen, regelmäßigen Anlieferung von Tiefkühlkost haben. Das Eismann-Sortiment lässt praktisch keine Wünsche offen. „Apfel-Rotkohl, Laugenstangen, küchenfertige sowie grätenfreie Fischfilets, Windbeutel, Blumenkohl-Käse-Taler, laktosefreier Aprikosen-Blaubeer-Kuchen, Tandoori-Chicken, vegetarische Paella und und und“. Der Junge ist gut ausgebildet, will Mitarbeiter des Monats werden und kennt das gesamte Eismann-Sortiment auswendig. Und er will es nicht umsonst gelernt haben. Er spult das komplette Programm ab. Meine Versuche ihn zu unterbrechen haben keinen Einfluss auf seinen frostigen Tiefkühlvortrag. Er ist hartnäckig und fährt fort. „Original-Elsässer Flammkuchen, Nudel-Hähnchen-Pfanne, Tannenzapfenkroketten, Knusperfisch Aioli, Donuts, Bagels, Minibuletten, bla bla bla“. Aber sein Angebot lässt uns im wahrsten Sinne des Wortes kalt. Ich drohe mit dem Camping-Bunsenbrenner seine Tiefkühlkiste anzuzünden, wenn er nicht sofort abhaut. Dabei imitiere ich "Smaug", den Feuerdrachen aus Herr der Ringe. Im Rückwärtsgang ruft er uns noch zu, dass er auch Creme Brülée im Angebot hätte. Ich schmeiße den Bunsenbrenner nach ihm und falle selber rückwärts über das blöde Paket von meinem Nachbarn. Der Eismann fährt weg. Das Paket stöhnt und zappelt und unsere Lasagne ist kalt.
Montag früh wache ich auf. Ganz ohne Tür-Klingel. Aber dennoch nicht ohne nächtlichen Besuch. Beim Blick aus dem Fenster in den Garten trifft mich nämlich der Blitz. Anstelle des gewohntem grünen Rasens entdecke ich eine Kraterlandschaft. Mein Garten gleicht Berlin nach 1945. Was war passiert? Meine Gedanken spielen verrückt. Hat der Hermes-Paketbote doch bemerkt, dass ich nicht mit meinem Namen, sondern mit „Herr Fickdichdulutscher“ unterschrieben habe? Oder haben die beiden Messdiener-Sklaven Petra und Paul in der Nacht ein paar Fluchpsalmen ausprobiert und dabei die Hölle neu erfunden? Oder war es am Ende doch der Eismann, der in seinem Vertriebswahn aus meinem Garten Gulasch gemacht hat?
Alles Schweine. Um genau zu sein: Wildschweine. Angeführt vom weiblichen Familienoberhaupt ziehen sie heimatverbunden durch die Wälder und gestern Nacht durch unseren Garten. Die Technologisierung macht auch beim Tierreich keinen Halt. Sie schweben perfekt ausgerüstet in Hightech-Tarnanzügen mit Hochleistungs-Drohnen in unschuldige Gärten und markieren das zu annektierende Kriegsgebiet mit geheimen Zeichen in der Erde. Die feuchte Militär-Schnauze einen Meter tief in den nassen, feindlichen Boden gerammt und dann den Garten durchgepflügt wie ein MG-Heckenschütze auf Speed das feindliche Lager. Ein Wildschwein zieht schneller eine Linie mit der Nase im Boden, als Ozzy Osbourne das Kokain wegschniefen konnte. Ein Dampfpflug mit 400 PS ist ein harmloses Kinderspielzeug gegen diese Höllen-Maschinen aus Fell. Auf diesen Besuch hätte ich auch gern verzichtet.
Jetzt reicht es. Ich habe eine erste Gegenmaßnahme gegen unangekündigten Besuch eingeleitet. Ab Dienstag nehme ich an einem Kompaktjagdkurs mit Leihwaffen ab dem ersten Tag teil. Mein Lehrrevier ist das eigene Grundstück mit Schwerpunkt auf der Eingangstür. In dem deutschen Jagdgesetz und der deutschen Bundesjagdverordnung sind die Richtlinien für die Jagd geregelt. Im § 22 sind die Jagd- und Schonzeiten für das Wild genau festgelegt. Wildschweine gehören zum Schwarzwild und haben in der Regel von Februar bis Juni Schonzeit. Hermes-Paketboten, Religions-Fanatiker und Tiefkühlkost-Verkoster gehören meines Wissens nicht zum Schwarzwild. Hier gilt also: ganzjährig Feuer frei.
Anlegen, zielen und mal schauen, wer nächste Woche zu Besuch kommt. Weidmannsheil.